Brutalismus: hart oder zart

Freitag, 1. Juni 2018 16:38

Eine Architektur - Richtung die mich besonders fasziniert ist der Brutalismus. Die meisten Projekte wurden in den 60er und 70er Jahren auf der ganzen Welt realisiert. Oft handelt es sich um Bauwerke mit einer besonderen Funktion (z. B. Verwaltungsgebäude oder Kirchen), für die dann eine aussergewöhnliche Materialität und Formensprache mit Solitär - Charakter gefunden wurde. Der Begriff leitet sich im übrigen von beton brut“ (französ. für roher Beton) wie beim Champagner ab und hat mit Brutalität nichts zu tun.

Viele Menschen schrecken vor der harten Erscheinungsform zurück. Aber Material und Form sind natürlich nicht die einzigen Kriterien nach denen eine Projekt bewertet werden sollte. Auch wenn sich über Geschmack bekanntermassen vortrefflich streiten lässt, sind die Projekte die ich selbst gesehen habe, mit einem hohen gestalterischen Anspruch entwickelt worden.

Ein „berühmt berüchtigter“ Brutalismus - Vertreter in Berlins ist das Zentrale Tierversuchslabor der Charité von Gerd Hänska aus den frühen 1970er Jahren. Berliner sind ebenso berüchtigt für ihre „liebevolle“ Kosenamen, die Sie ihren grossen Bauwerken zu geben pflegen und haben hierfür den „Mäusebunker“ erfunden.

Das Forum - Hotel in Krakau liegt direkt am Weichsel - Ufer. Seine Besonderheit ist der Solitär - Charakter innerhalb der flachen Uferwiesen.

Bei meiner letzten Reise in die Dolomiten habe ich den Ort Longarone besucht. Eine Dokumentation über eine Flutkatastrophe in 1963 mit nahezu 2.000 Todesopfern hatte mich sehr beeindruckt. Der Wikipedia - Artikel über das "Vajont - Unglück" ist sehr lesenswert.

Zum Gedenken an die Opfer wurde zw. 1966 und 1976 im wieder aufgebauten "Neuen Langarone" eine grandiose Skulptur aus Sichtbeton als Gedenkstätte durch den Architekten Giovanni Michellucci gebaut.

Das Barbican Estate in London von Chamberlin, Powell and Bon ist im Gegensatz zu den oben beschriebenen Solitärbauten ein Wohnungsbauprojekt für ca. 5.000 Bewohner auf auf einer innerstädtischen Fläche von 14 ha. Im autofreien Innenbereich befindet sich eine intensiv gestaltetet Grünanlage mit Wasserbecken und -kaskaden. Darüber hinaus ist es Kultur- und Konferenzzentrum mit Konzerthalle, Theater und Kinos. Noch 2003 zum „ugliest british building“ gewählt, „wussten sie (die Bewohner) sehr bald die kaum zu übertreffende Innenstadtlage bei gleichzeitigem Maximum an Ruhe, Licht und Sicherheit sowie Fußläufigkeit zu schätzen (Zitat Baunetzwoche).“ Der gesamte Komplex steht unter Denkmalschutz.

Für mich ist das ein gutes - weil polarisierendes - Beispiel über die Bedeutung von Raum. Zuerst sollten gute Entscheidungen zur RaumArchitektur“ getroffen werden, erst im Anschluss kann man sich über Gestaltung und Material unterhalten.

Mehr Details finden Sie in einem Artikel der Baunetzwoche (Seite 04 bis 15).