Zukunft: Leben auf dem Wasser

Dienstag, 24. Oktober 2017 19:58

Der folgende Beitrag fasst zusammen und aktualisiert Texte zur Stadtplanung und Projekten auf dem Wasser aus 2011 und 2012:

Wie sieht die Erde in den nächsten 50 bis 100 Jahre aus? Welche Umweltbedingungen werden uns umgeben und wie wird sich unser Leben verändern?

Der Klimawandel wird die Umweltfaktoren auf unserem Planeten stark beeinflussen. Der neuste Bericht des "Arctic Monitoring and Assessment Programm" (AMAP) von Mai 2011, prognostiziert bis 2100 einen Anstieg der Meeresspiegel von 0,90 bis 1,60 Meter. Versunkene Städte werden also Realität werden.

Architekten, Urban Designer und Ingenieure beschäftigen sich mit den globalen Folgen des Klimawandels und entwickeln Konzepte für zeitgenössische Arche Noahs, um Leben auf dem Wasser zu ermöglichen.

Eine Plattform für Innovationen zum Thema Wasser und Stadt war der internationale Wettbewerb „Venice CityVision“ 2011, bei dem eine Vielzahl spektakulärer Entwürfe entstanden sind. Herausragend ist das Konzept „Sub Venice“ des Ateliers CMJN aus Frankreich:

In den folgenden Jahrzehnten werden viele Städte tiefer liegen als der Meeresspiegel.

Das planerische Konzept am Beispiel Venedig ist eine Mauer, die Bastion und osmotischer Ring zugleich ist. Sie dient als Schutz und zur Strom- und Trinkwassergewinnung. Das osmotische Prinzip wird so beschrieben, dass durch den Wasserdruck zwischen Süss- und Salzwasser Turbinen eingesetzt werden können, um Strom und Frischwasser zu erzeugen.

"Sub - Venice" Situationsdarstellung (Atelier CMJN: Julien Combes, Gaël Brulé) 

Alberto Bottero, Simona Della Rocca und Valeria Bruni haben sich ebenfalls mit dieser Thematik beschäftigt. Sie gewannen den ersten Preis bei der Venice City Vision in Venedig. Ziel war es, die historische Stadtstruktur Venedigs zu verbessern. Ausgangspunkt war die aquatische Identität der Lagune, für neue Visionen und  städtebauliche Entwicklungen.

1. Preis Venice City Vision, Venedig (Alberto Bottero, Simona Della Rocca & Valeria Brun)

Ein anderes interessantes Projekt ist die "Loop - Pool / Saturation City" von McGauran, Giannini, Soon Pty. Ltd. / Material Thinking & Dyskurs aus Australien, die 2010 am Wettbewerb „Designs for Australian cities 2050+“ an der Biennale in Venedig teilgenommen haben.

Der Entwurf behandelt ein Krisenszenario für Melbourne und Port Philipp Bay, mit einem um 20 Meter angestiegenen Meeresspiegel.

„ ...like quicksand under the feet. We sink into it, and one object of Saturation is to encourage us to think about swimming” (Paul Carter).

Diese schwimmenden Konstruktionen sind als „kolloidale Mimikri“ gedacht, für die eine stabile Konstruktion zwingende Voraussetzung ist.

„Urban Saturation” (Ben Milbourne, Edmund Carter, Catherine Ranger, Jocelyn Chiew, Eli Giannini, Paul Carter)

Neben dem Klimawandel wird der Bevölkerungszuwachs in der Zukunft zum entscheidenden Parameter. Die Weltbevölkerung betrug zum Jahreswechsel 2016 / 17 rund 7,47 Milliarden und jedes Jahr kommen 83 Millionen hinzu. Laut einer Studie der UN sollen im Jahr 2050 ca. 9,15 Millarden Menschen die Erde bevölkern. Es drohen nicht nur Qualitätseinbussen für das Leben im Allgemeinen. Es wird schlicht an Platz mangeln.

Der belgische Architekt Vincent Callebaut hat zwar noch nicht viel gebaut, dafür zum Thema umso mehr atemberaubende und visionäre Konzepte entwickelt. Ausgehend vom Umstand, dass über 70% der Erdoberfläche mit Ozeanen bedeckt ist, lag es für ihn nahe, grosse Gebäudestrukturen auf das Wasser zu verlegen. Für diese Strukturen ist der Anstieg des Meeresspiegel unproblematisch. Das Konzept „Lilypad“ ist inspiriert von Seerosenblättern. Jedes Blatt ist autark, lässt sich von der Strömung treiben und soll bis zu 50.000 Menschen einen Lebensraum bieten.

Statt sich mit Visionen herumzuschlagen werden in der arabischen Welt Nägel mit Köpfen gemacht.

Zwischen 2001 und 2008 realisierte das belgisch - holländischen Konsortium Jan De Nul / Van Oord die Palm - Islands auf einer künstlich angelegten Inselgruppe vor der Küste von Dubai. Das weltweit grösste und luxuriöseste Feriendomizil ist in seiner Gesamtform einer Palme nachempfunden und sogar vom Mond aus zu sehen ist.

Das Projekt ist 560 ha gross und besteht aus den drei Abschnitten "The Trunk" (Stamm), "The Fronts" (Palmwedel) und "The Crescent" (Sichelmond). Es umfasst 120 km Sandstrände, 2.000 Villen und 40 Luxushotels. Für den Transport zum Festland wurden zusätzlich 300 Brücken und eine Monorail Bahn gebaut. Am nordwestlichen Ende ist die Hauptinsel mit dem fast 12 km langen Sichelmond über einen rund 800 m langen Unterseetunnel verbunden.

Bauen in dieser Dimension ist immer kompliziert. Bei Palm Island war aber bereits die erste aller Fragen kompliziert und eine echte Herausforderung: „Woher kommt der Sand?“

Der reichlich vorhandene Wüstensand kam nämlich nicht in Frage. Dieser ist zu feinkörnig und lässt sich nicht als Baugrund verdichten. Geeigneter Sand musste deshalb durch eine extra entwickelte Technik mit Saugrohren von Dubais Sandbänken unter Wasser abgetragen werden. Zum Schutz vor Erosionen wurden die Uferbereiche zusätzlich durch eine Steinmauer geschützt, die bis zu vier Meter hohe Wellen brechen kann. Fragen der Eingriffsregelung oder des Naturschutzes will ich hier lieber nicht vertiefen.

Durrat Al Bahrein, 30.04.2012

Das Projekt Durrat Al Bahrain der Entwickler Atkins und KMC Bovis ist ebenfalls eine Landgewinnung im grossen Stil für ein Freizeit - Grossprojekt. Auch hier vereinen sich Stadtplanung / LandschaftsArchitektur und Architektur zu einer Symbiose. Projekten dieser Art stehe ich bei aller Faszination für das Grosse und Spektakuläre kritisch gegenüber, weil ich hier keinen Schritt in die Zukunft erkennen kann. Überhaupt habe ich den Eindruck, dass im arabischen Raum Architektur ohne plakative Symbole nicht zu verkaufen ist. Aspekte wie Urbanität oder öffentlicher Raum spielen hier keine Rolle. Die Grenze zum Kitsch wird teilweise überschritten.

+ Durrat Al Bahrein haben einige Inseln die Form von Fischen

+ Palm Islands in Dubai ist einer Palme nachempfunden

+ Ebenfalls in Dubai gelegen abstrahieren die künstlichen Inseln The World eine Weltkarte

+ Das Hotel Burj al Arab hat die Form eines Segels.

Die erforderlichen Massnahmen, um eine 21 qkm grosse "Halskette" von 15 miteinander verbundenen Inseln zu schaffen, sind  zutiefst zerstörerisch. Laut Bayyinah Salahuddin von der Duke University in Dubai waren die ersten künstlichen Inseln von "Palm Jumeirah" dafür verantwortlich, die Tierwelt zu begraben und zu ersticken, die Gewässertrübung zu erhöhen, und den Sediment - Transport entlang der Küste zu verändern. Diese Prozesse, sowie Umweltverschmutzung und erhöhte Wassertemperaturen, führen auch zur Korallenbleiche und werden auch in Bahrain stattfinden.

Wohin sich Trend und Notwendigkeit auf dem Wasser zu bauen, entwickeln, wird sich zeigen. Aus meiner Sicht wird Wasser als Medium, Baugrund und Lebensraum in Zukunft genutzt werden. Die Beispiele zeigen, dass die Gestaltung von Freiraum - auch auf dem Wasser - elementarer Bestandteil von Stadtplanung bleiben wird.