Stadtplanung: Caracas, Venezuela

Mittwoch, 18. Oktober 2017 09:48

Dieser Post ist eine Aktualisierung und Zusammenfassung von  Artikeln über zwei Projekte in Caracas, Venezuela aus 2011 und 2012.

Sowohl das Projekt Metrocable als auch Torre David wurden vom Büro UTT (Urban Think Tank) der beiden Stadtplaner Alfredo Brillembourg und David Klumnper initiiert.

Das Büro hat seinen Schwerpunkt in der Entwicklung von verbesserten Lebensbedingungen in den Ballungsräumen von Schwellenländern. Das dürften global betrachtet wohl die bedeutendsten städtebaulichen Fragestellungen der Zukunft sein. Von Alfredo Brillembourg stammt ein beeindruckendes Zitat: "More ethics in architecture and we’ll get more aesthetic."

Beide Projekte haben weltweite Aufmerksamkeit erhalten. Für meinen Geschmack wurde der Hype aber übertrieben. Ich habe manchmal den Eindruck, dass vor allem Beobachter aus der westlichen Welt Ihren Hang zur Sozialromantik befriedigen. Insbesondere im Torre David beschreiben die Fotos die wenig romatischen, sehr harten Lebensbedingungen.


Metrocable

Das Barrio San Augusin in Caracas, Venezuela liegt auf einem steilen Berg mitten im Stadtgebiet und war nur über eine Fussgängerbrücke zu erreichen. Zur Verbesserung der Infrastruktur wäre den meisten Stadtplanern wohl nur der Abriss vieler Hütten zugunsten neuer Strassen eingefallen.

UTT hatte dagegen eine besondere Idee: Sie schlugen den Bau einer Umlaufseilbahnwie wir sie aus den Skigebieten in den Alpen kennen, vor. Die Trasse wurde ohne Beeinträchtigung der vorh. Baustruktur quer über den Berg gelegt und besitzt zwei Talstationen sowie mehrere Zwischenstationen.

In einem Tagesspiegel - Artikel von 2011 gibt so viele wunderbare Aussagen, dass ich diese im Folgenden zitiere:

Klumpner: "(die Seilbahn) kann das Fundament für eine Lösung (vieler bestehender Probleme in den Barrios) sein. Die Identifikation der Bewohner mit Ihrem Quatier wächst, die Hütten werden verschönert, die Gassen geputzt und vor allem geht die Kriminalität zurück."

Klumpner: "Alle sahen nur einen Berg voller Hütten. Wir sahen ein Haus, so hoch wie ein Berg. In Caracas müssen Häuser mit mehr als vier Etagen einen Aufzug haben. Wir fragten: Und wo ist der Lift für dieses Haus?“

Brillembourg: „Die Herausforderung ist, Arterien zu schaffen, die die Grenzen zwischen Räumen eliminieren"

Klumpner: „… damit die Slums nicht weiter verwahrlosen, sondern stattdessen zu einer Ressource der Stadt werden."

Klumpner: "Ein entscheidender Faktor dafür ist Psychologie. Die Seilbahn ist ein Statement. Es besagt: Die Politik tut etwas für das Barrio. Wir geben Geld für euch aus. Das bremst die Aggressionen, gibt Mut und Zuversicht. Caracas ist Vorbild für Rio de Janeiro, das bereits an einer Seilbahn baut, die sechs Favela - Hügel mit der Stadt verbindet.“

Wie die meisten guten Ideen ist diese natürlich nicht aus dem hohlen Bauch entstanden, sondern es wurde eine vorhandene Lösung neu interpretiert. Schliesslich gibt es mit der 1956 eröffneten „Teleférico de Caracas“ eine berühmtes Vorbild, welches aber seinerzeit vorwiegend als touristisches Projekt - lange vor dem meisten Seilbahnen in den Alpen realisiert - wurde.

 

Torre David

Die Geschichte ist folgende: Der Bankier David Brillembourg entwickelt in Caracas einen 190 m hohen Büroturm, der wegen der Finanzkrise im Stadium des Rohbaus verharrt und von sog. Squattern (kreatives Besetzen von aufgegebenen Orten) besetzt und mit einfachsten Mitteln zu einem vertikalen Lebensraum für gegenwärtig ca. 2.500 Menschen entwickelt wird. 2015 wird der Turm von der Regierung geräumt, nachdem er weltweite Aufmerksamkeit erregt hat. Möglicherweise werden chinesische Investoren das Bauprojekt vollenden.

Der Turm wurde von den Einheimischen ironisch Torre David genannt. Die Quelle ist entweder der Vornamen des Investors David Brillembourg. Besser gefällt mir aber die Wikipedia - Definition für ein Synonym für einen im Juden- und Christentum unbezwingbaren Bergfried und für zuversichtliche Stärke gegen Feinde der Religion.

Das Zauberwort von „Informal Vertical Communities“ wurde vom Büro UTT aufgegriffen und als Projekt bei der 13. Biennale 2012 in Venedig eingereicht und mit einem goldenen Löwen prämiert. Hierfür wurde ein Jahr lang die physische und soziale Organisation der Bewohner mit dem Ziel untersucht, Wege zu finden, wie dieser Turm noch funktionaler und bewohnbarer gemacht werden kann.

Die ETH life schreibt: „Die Jury widmete den Preis den Architekten für ihre Einsichten in die Transformationskraft informeller Gemeinschaften ebenso wie den Bewohnern des Torre David, die sich aus eigener Kraft ein neues Zuhause geschaffen haben.“

Das Projekt ist ein guter Beleg dafür, dass Freiraum in Schwellenländern völlig anders definiert werden muss als in Industrieländern. Genauso, wie in Singapur Lebensräume für die Freizeitgestaltung auf Dächern entstehen, befinden sie sich hier im Bauch dieses Kolosses und werden intensiv genutzt.

Für einen "Landschaftsarchitekten" gäbe es hier wenig zu tun. Für einen "Raumarchitekten" (meine bevorzugte Berufsbezeichnung) sind die Möglichkeiten dagegen vielfältig.

https://de.wikipedia.org/wiki/Luftseilbahn#Umlaufseilbahn

https://de.wikipedia.org/wiki/Luftseilbahn#Umlaufseilbahn

https://de.wikipedia.org/wiki/Luftseilbahn

https://de.wikipedia.org/wiki/Luftseilbahn