Das Mahnmal in Berlin: Diskussion mit Betroffenen

Freitag, 19. März 2021 19:08

Ich habe eine sehr gute Freundin für deren weltweit verstreute Freunde ich bei ihren Berlin - Besuchen den Guide mache.

Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas ist für mich dabei unverzichtbar, weil ich finde, dass eine Berlin - Besuch nicht vollständig sein kann ohne mit seiner Geschichte konfrontiert worden zu sein. Und ich finde auch, dass gerade das Mahnmal hinsichtlich seine Aussage und auch seiner Gestaltung globaler Bedeutung besitzt.

Die hat vor allem zwei Gründe:

+ Es gibt nicht viele Nationen, die ein Mahnmal auf ihrem teuersten, verfügbaren Grundstück realisieren.

+ Ich halte es für einen Geniestreich der Verfasser Peter Eisenman und Richard Serra, der Versuchung widerstanden zu haben, den Horror des Holocaust nicht zu visualisieren, sondern zu abstrahieren.

So habe ich bis vor kurzem gedacht.

Bis zu dem Moment, als ich das Mahnmal zum ersten Mal zwei direkt betroffenen Menschen gezeigt habe. Ich habe ihnen den Ansatz der Entwerfer erklärt. Die Idee war, dass Besucher beim Durchschreiten der Säulen (diese werden zu Mitte hin immer höher und neigen sich zum Teil auch aus dem Lot) ein Unbehagen empfinden sollte; vergleichbar mit dem zunehmenden Unbehagen jüdischer Mitbürger nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Mit dem hochbetagten Ehepaar aus Australien stand ich dann mitten in den Säulen und habe eine sehr grundsätzliche Diskussion geführt. 

Erste Ansage des Ehepaars: Wir empfinden gar nichts.

Erste Reaktion des Erklärers: Verunsicherung.

 

Zweite Ansage des Ehepaars: Hier ist nichts, weswegen wir etwas empfinden sollten, im Gegensatz zu z. B. Yad Vashem.

Zweite Reaktion des Erklärers: Verständnis.

Meine These:

Das Mahnmal scheint für Betroffene nur bedingt zu funktionieren. Bei nachfolgenden Generationen, die nicht unmittelbar mit dem Grauen konfrontiert worden sind, laufen vor dem geistigen Auge andere Bilder ab als bei Betroffenen. Bei nachfolgenden Generation scheint die Abstraktion ein adäquates Mittel für die Transformation einer Botschaft zu sein. Betroffene haben das Grauen gesehen und benötigen - wenn Sie gedenken wollen - eine bildhafte Sprache.

Quellennachweis der verwendeten Fotos: https://img.fotocommunity.com