Katalonien, Barcelona: Schock und Inspiration

Mittwoch, 18. Juli 2018 16:45

Im April 2018 habe ich die Kollegen, die ich als Kontakt - Architekt beim Bauhaus Museum in Dessau betreue, in Barcelona besucht.

Die Bewegung der Separation ist aktuell stadtbildprägend. Überall sind gelbe Schleifen (das Symbol der Separatisten) zu sehen. Beim einem Heimspiel des FC Barcelona im Camp Nou sind ca. 60.000 Zuschauer unvermittelt aufgestanden und haben „Libertad“. gerufen. Das ist beeindruckend.

Deshalb ein kurzes, politisches Statement: Die Katalonische Bewegung zur Separation kann man befürworten oder nicht. Aus meiner Sicht haben die europäischen Verfassungen aber ein gravierendes Defizit. Es gibt nämlich für den Fall einer mehrheitlich gewollten Separation innerhalb einer Nation keinen Bauplan wie so etwas gewaltfrei ablaufen soll. Das halte ich für ein Problem, welches schnell einer Lösung bedarf.

Ansonsten habe ich die Gelegenheit genutzt, um mir aktuelle Projekte anzuschauen. Dabei habe ich sowohl schockierendes als auch inspirierendes gesehen.

Schockierend ist vor allem der neue Bereich um den Parc del Forum, von meinen spanischen Kollegen „liebevoll“ die Hundeschule (jeder Star - Architekt hinterlässt seinen Haufen) genannt. Eine städtebaulich sinnfreie Aneinandereihung von Solitären, die jetzt schon grösstenteils gravierende Baumängel haben.

Inspirierend war das CCCB (Centre der Cultura Contemporània de Barcelona) von Helio Piñón and Albert Viaplana. Diese haben einen 1802 realisierten historischen Hof 1994 um ein top - modernen Anbau erweitert. Die letzten beiden Etagen sind zum Hof gekippt. Der Effekt ist, dass der Besucher in der Spiegelung der Glasfassade das Meer sehen kann. Der Haupteingang wurde unter die Platzfläche gelegt, um deren Qualität möglichts wenig zu beeinträchtigen. Genial.

Foto: Juan F. Griffin

Foto: Xavier Babarro

Altmeister Ricardo Boffil hat in Paris viele schockierende Vorhaben im sozialen Wohnungsbau realisiert.

Unter Catalanischer Sonne habe ich erst den Sinn dieser kompakten Bausweise verstanden. Räume im Schatten sind hier Lebensräume.

Ein bedeutender stadtplanerischer Aspekt ist, dass Barcelona für Berlin und andere Städte hinsichtlich des Tourismus in die Zukunft schaut, weil hier die überschaubare Grösse und Einwohnerzahl in einem besonders ungünstigen Verhältnis zur Besucherzahl stehen.

Folgende Zahlen (zu beachten: hier werden nur ausländische Besucher genannt) sind einen Vergleich wert:

Barcelona:

Einwohner 1,62 Mio, Besucher: 8,2  Mio

Fläche: 101,4 km², Dichte: 16.000 Einw. / km²

London:

Einwohner 8,78 Mio (Metropole: 14,04 Mio), Besucher: 19,88 Mio  

Fläche: 1.572 km2 (Metropole: 8.382 km2), Dichte: 5.590 Einw. /km2

Paris:

Einwohner: 2.21 Mio (Metropole: 12,41 Mio), Besucher: 18,03 Mio  

Fläche: 105,40 km2 (Metropole: 17.174 km2), Dichte: 20.934 Einw. /km2

Berlin:

Einwohner: 3,59 Mio, Besucher: 4,94 Mio

Fläche: 891,68 km², Dichte 4.028 Einw. / km²

 (Quelle Besucher: Global Destinations Cities Index, 2016)

(Quelle Einwohner: Wikipedia 2017)

 

Das hat folgende Konsequenzen:

+  Vermieter - aber auch Mieter - vermieten Ihre Wohnungen an Touristen  und erzielen höhere Erträge als durch die Vermietung an die Einwohner.

+ Die Wohnungen werden dem regulären Mietmarkt entzogen; die Mieten steigen und sind für einen grossen Teil der Einwohner nicht mehr bezahlbar.

+ In Ihrer Not versuchen Einwohner Wohnungen zu kaufen, verschulden sich, und tragen somit zur Befeuerung des Immobilienmarkts bei.

+ Proteste gegen den Tourismus sind mittlerweile keine Randerscheinung mehr, weil die Stadt für ihre Bewohner nicht mehr als Lebensraum funktioniert.

Global betrachtet haben wir in Berlin hinsichtlich Besucherzahl und Einwohnerdichte immer noch paradiesische Zustände.

Diese gilt es zu bewahren.