Nordeuropa: entspannter Umgang mit Gestaltung

Freitag, 1. Juni 2018 17:47

2011 war ich in den Niederlanden (Amsterdam und Rotterdam) und 2013 in Dänemark (Kopenhagen). Ich stelle das mal unter das Thema „Nordeuropa“, weil hier eine ganze Menge besonders ist.

Architektur ist im Bewusstsein der Niederländer tiefer verwurzelt als in Deutschland. Bei neuen Projekten wird viel mehr riskiert und ausprobiert. In Deutschland will man durch perfekte Planung Fehler vermeiden. In den Niederlanden werden Fehler als Chance für neue Entwicklungen zugelassen. Evolution (gesellschaftlich und gestalterisch) gelingt eben nur, wenn Scheitern erlaubt ist.

 Zwischen Amsterdam und Rotterdam besteht eine grosse Konkurrenz, so wie zwischen Düsseldorf und Köln oder Dortmund und Gelsenkirchen. Eine Ursache für diese Rivalität sehe ich auch darin, dass die Voraussetzungen für die Stadtentwicklung in der Vergangenheit nicht unterschiedlicher sein konnten.

Amsterdam ist geprägt durch seinen gewachsenen historischen Stadtkern. Der Bedeutungsverlust als Hafenmetropole wird kompensiert durch seine Bedeutung als touristische Metropole. Das spiegelt sich wieder in zahlreichen Projekten mit Solitär - Status.

Der historische Stadtkern von Rotterdam wurde dagegen im 2. Weltkrieg vollständig zerstört. Die Stadt ist geprägt vom Wiederaufbau mit moderner Architektur und Hochhäusern. Die günstige Lage beförderte die Entwicklung als Europas wichtigster Güter- und Ölhafen. Der Europoort hat eine Fläche von 3.700 ha und war bis 2004 der grösste Seehafen der Welt. Hier gibt es keine einzelnen Projekte mit Solitär - Charakter, hier reiht sich ein Solitär an das nächste.

Viele Kollegen verbinden mit Kopenhagen vor allem die spektakulären Projekte, wie den Block 8 (klasse Video) der Bjarke Ingels Group. Mir haben statt dessen die vielen anderen, etwas weniger spektakulären aber eben sehr qualitätvollen Projekte gefallen. Die dänische Art mit RaumArchitektur umzugehen hat mir sehr gefallen. In dieser Hinsicht gibt es in Kopenhagen mehr zu sehen als in Amsterdam und Rotterdam. In gestalterischer Hinsicht habe ich mich fast ein wenig zu Hause gefühlt. Es gibt praktisch keine Projekte, die völlig misslungen sind. Die folgenden Projekte empfinde ich als grandios:

Seebad Kastrup (Fredrik Pettersson von White Arkitekter), eine transparente Holzstruktur im raumbildenden dreiviertel Kreis

SEB Bank (Lundgaard & Tranberg), Spitzname City - Düne“, Gebäude und Freianlagen sind zusammen als Skulptur entwickelt worden

Torpedohallen (Tegnestuen Vandkunsten), mit einer tollen, überdachten Gemeinschaftsfläche im Innenbereich

Für mich verbinden die Niederlande und Dänemark eine Art von Wohlstand, der - wenn er grosse Teile der Gesellschaft erreicht - zu einem leichteren und entspannteren Umgang untereinander und bei Gestaltungsaufgaben führt. Ich habe nicht nur viele gute, sondern auch ein paar magische Projekte gesehen.