Venetien: Nachnutzung einer Großstruktur

Samstag, 20. April 2024 05:03

Während meines Aufenthalts in Padua in 2023 ist mir aus dem Zug eine ungewöhnliche Betonstruktur aufgefallen, die mich so neugierig gemacht hat, dass ich eine kleine Expedition an den westlichen Stadtrand unternommen habe.

 

Das Foro Boario ging aus einem Wettbewerbsentwurf des Architekten Giuseppe Davanzo und des Tragwerkplaners Giandomenico Cocco hervor und wurde zwischen 1964 bis 1968 errichtet. Die grossflächige Halle (35.023 qm) wurde bis 1985 als Rindermarkt genutzt, war anschliessend ein Blumenmarkt und später ein Indoor - Leichtathletikzentrum. Seit 2007 steht das Gebäude leer, seit 2008 ist es aber auch als Baudenkmal geschützt.

Das Besondere ist die planimetrische Konstruktion des bis auf 13 Meter aufsteigenden Hallendaches aus sich überlagernden quadratischen Flächen. Die komplexe Konstruktion wird aus vorgefertigten Spannbetonelementen gebildet, die auf Stahlbetonpfeilern aus Ortbeton aufliegen.

Die Recherche im Netz hat einen sehr liebevollen Artikel zu Tage befördert, den ich ab hier zitiere: 

„Das Foro Boario ist ein Viehmarkt, der Mitte der 60er Jahre in Padua, Italien, erbaut wurde. Sein ausgeklügeltes Design aus vorgefertigten Betonmodulen fand seinen Platz nicht im ungezügelten Kontext einer expandierenden Stadt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Stadt Padua rasant und baute eine von Bombenangriffen gezeichnete Stadt wieder auf. Sie folgte dem wirtschaftlichen Erfolg Venetiens, das sich von der ärmsten Region Norditaliens zur reichsten Region des modernen Italiens entwickelte. Dieser Impuls spiegelt sich in einer teilweise unkontrollierten Entwicklung und Modernisierung wider, zu Lasten der Urbanisierung der Stadtperipherie. Das 1946 östlich der Stadt gegründete Industriegebiet von Padua ist heute mit einer Fläche von 10.500.000 m² eines der größten in Europa.

Das Foro Boario wurde Mitte der 60er Jahre gebaut, im Kontext eines unkontrollierten Wachstums. Am nordwestlichen Stadtrand gelegen, ist diese Megastruktur aus Beton ein Viehmarkt, der für maximal 3.500 Rinder ausgelegt ist.

Die Idee des Architekten war es, seine Marktfunktion durch ein gemeinsames Bild auszudrücken. Er dachte an grosse Zirkuszelte, unter denen der Kauf und Verkauf von Vieh stattfinden sollte, um den einfachen und herzlichen Handel des Dorffestes mit dem Tier in der Nähe des Käufers fortzusetzen. Er entwarf eine Architektur, die dieses Klima fördern sollte, unterstützt durch neue Materialien, die grössere Dimensionen ermöglichen.

Der "Rinderpalast" wird in Betonfertigteilen nach einem quadratischen Grundriss aus 10 x 10 m Modulen errichtet. Die vorgespannten Paneele ermöglichten einen sehr schnellen Bau des Komplexes zu einer Zeit, als sich die Industrialisierung der Vorfertigung durchzusetzen begann. Die Matrix, auf der diese Paneele aufliegen, wurde so konzipiert, dass die Paneele nach dem Platzieren leicht ineinandergreifen und einen horizontalen und vertikalen Versatz erzeugen. Dieser Versatz ermöglicht strukturelle Kontinuität und Abdeckung, aber auch den Durchgang von Licht und Luft. Die statische Struktur dehnt sich horizontal auf 35.000 m² Freifläche aus, steigt aber auch vertikal an, um aufeinanderfolgende Ebenen zu bilden. Das Ergebnis ist ein Gebäude auf halbem Weg zwischen dem Zirkuszelt und der Zikkurat, bei dem die industrialisierte Vorproduktion der Betonelemente zur architektonischen Qualität beiträgt.


Trotz der räumlichen und architektonischen Qualitäten, ist Projekt Opfer einer ungezügelten Konstruktion ohne stadtplanerischen Kontext. Auch ein mit gestalterischen Ambitionen entwickeltes Projekt ist wertlos, wenn die stadtplanerische Einbindung nicht berücksichtigt wird.“


Quelle: https://www.sensesatlas.com/giuseppe-davanzo-foro-boario-di-padova/

 

Das Foro Boario ist sogar Gegenstand eines aktuellen Studienprojekts der TU München (Modul: Baudenkmalpflege: Projekt (Master Level 8 SWS / 15 Credits), in Rahmen dessen untersucht werden soll, welche Nachnutzungen für diese Struktur in der Gegenwart möglich sind. Mein einleitender Text ist eine Zusammenfassung der Projektbeschreibung.

 

Den Ansatz des Studienprojekts halte ich für elementar, weil das ja genau die Aufgabe ist, der sich viele Städte in der Gegenwart (siehe: Beispiel Brüssel) zu stellen haben. Wobei auch hier folgendes gilt:


+ Eine stadtplanerische Einbindung ist zwingend; eine isolierte Betrachtung wertlos.

+ Eine überdachte, grosse Struktur mit Witterungsschutz sollte vorrangig für öffentliches Leben nutzbar gemacht werden.